DER TransPrivacy Blog

mit Texte, Schriften und Kommentare von Bloggern und Autoren zum Projekt

13.10.2011
09:32

Warum es sich lohnt das Private und das Öffentliche zu verteidigen.

Nach dem Gestern der Berliner Postprivacy-Denker Michael Seemann mit dem ersten Teil einer kurzen Geschichte der Postprivacy die Reihe der Gastbeiträge begonnen hat, kommt heute Dr. Nils Zurawski aus Hamburg zu Wort.

Zurawski begleitet die Ausdifferenzierungen und die Fortentwicklung der Überwachungsgesellschaft seit Jahren mit wissenschaftlichem und kritischem Blick, derzeit Arbeitet er u.a. an seiner Habilitation zum Thema 'Raum – Weltbild – Kontrolle. Überwachung und Vorstellungen von Gesellschaft als Faktoren sozialer Dynamik'.
Neben der wissenschaftlichen Tätigkeit im Rahmen seiner Gastprofessur an der Uni Hamburg und in verschiedenen EU-Projekten, engagiert er sich seit Jahren mit hohem Einsatz als Vorsitzender der Rugby-Sparte des FC St. Pauli.

In seinem Essay führt Dr. Nils Zurawski aus warum es sich trotz - oder gerade wegen - der zunehmenden Digitalisierung der Kommunikation und der Vernetzung der Welt lohnt, auch in Zukunft das Private und das Öffentliche zu verteidigen.

Nichts ist selbstverständlich:
Warum es sich lohnt das Private und das Öffentliche zu verteidigen.

ein Beitrag von Dr. Nils Zurawski

Das Private war einmal politisch - jetzt ist es vor allem öffentlich, bloßgelegt, eingefordert. Scheinbar schwindet die Grenze zwischen dem Privatem und dem Öffentlichen - avant-gardistische Techno-Missionare rufen wahlweise die totale Transparenz oder das post-humane Zeitalter aus.
Einem Rückzug in die eigenen vier Wände, so denn solche vorhanden sind, wird eine Absage erteilt.
Facebook-Guru Zuckerberg verteufelt den Versuch, eine “Identität" oder was er dafür hält, beim Erstellen eines Facebook-Kontos zu verschleiern, als Ausdruck mangelnder Integrität und hat nicht begriffen, dass gerade gesellschaftliche Integrität unter den Bedingungen, wie wir sie heute vorfinden, nur mit einem Schutz des Privaten möglich ist.
Und zukünftige Gesellschaften, die sich jenseits der nur scheinbar unvermeidlichen kapitalistischen Formation ergeben, tun gut daran gerade daran nicht zu rütteln - entscheiden tun das freilich künftige Generationen in eigener Verantwortung.

Aber Freiheit (und somit auch Sicherheit) erwachsen immer aus dem zunächst grundsätzlichem Vertrauen gegenüber anderen. Eine Gesellschaft, die meint, Privates bürge immer auch Gefahren für die Gemeinschaft und müsse deshalb einsehbar sein, kennt keine Grenzen mehr.
Denn wo ist Schluss und warum gerade dort und nicht ein kleines Stück weiter? 
Der Wunsch nach Überwachung und Kontrolle fördert vor allem ihre Ausbreitung, denn mit jedem Fleck der sichtbar gemacht wird, erscheinen neue am Horizont, die auch noch einen Blick wert sind und ein Kontrollregime begründen könnten.
Angesichts einer Unübersichtlichkeit in einer komplexen Debatte, hier ein paar Gedanken in Stichworten, die bei der Aufklärung helfen können - das alles selbstverständlich nur in idealisierter und reiner Form.

Das Private ist nicht der Gegensatz des Öffentlichen, sondern dessen Vorraussetzung.
Ohne das Private, also die Möglichkeit unbeobachtet, dass zu tun, was ich will (im Rahmen bestehender Gesetze), kann eine politisch/gesellschaftlich verantwortungsvolle Willensbildung nicht gelingen.
Das Private sorgt dafür, das ich als Gleicher unter Gleichen in das Forum der Öffentlichkeit treten kann.

Transparenz: Die Absage an das Private, mit dem Argument, dass dann niemand mehr etwas zu verbergen hätte ist im besten Sinne utopisch, aber eigentlich nur naiv und gefährlich.
Der Rückzug ins Private, in die geschützte Burg, weg vom Zugriff von Mächten und Kräften, die mich kontrollieren und bestimmen wollen, wird so zu einem Privileg. Damit entfällt die Basis für ein gleichberechtigtes Auftreten in der Öffentlichkeit - meine Teilhabe wird zu einem Akt der Generosität durch wie auch immer herrschende Mächte.
Die Versuche dieses in den Formen anderer Gesellschaftsmodelle zu realisieren, sind fehlgeschlagen. Totalitarismus kann nicht die Lösung von Geheimnissen und privaten Verwerfungen sein.

Privat sein heißt etwas verbergen zu können, anders sein zu dürfen, der Gesellschaft nicht unmittelbar ausgesetzt zu sein - der Satz: Ich habe eh nichts zu verbergen ist kompletter Unsinn, weil wir genau wissen, dass wir immer etwas zu verbergen haben.
Nichtwissen kann auch eine Präventivwirkung haben. Wenn wir alle von allen alles wissen würden, wäre das eine schreckliche Gesellschaft, denn wer sagt uns dann, dass es wirklich alles ist?
Die vermeintliche Offenheit würde nur zu mehr Misstrauen führen.

So sehr ich im Privaten erkannt werden will - dafür geschützt bin - so sehr will ich in der Öffentlichkeit die Möglichkeit haben, mich ungeachtet meiner persönlichen Identität frei zu bewegen.
Ich will Anonymität für mich beanspruchen können. Dazu muss ich jederzeit in der Lage sein, zu entscheiden, ob ich mich öffentlich erkläre wer ich bin oder ob ich es lasse.
Nicht erwarten kann ich allerdings, dass ich unbeobachtet von meinen Mitmenschen bleibe - allenfalls unerkannt. Grundlegend dafür ist allerdings, dass ich Blicke erwidern kann, weshalb eine ständige Beobachtung durch Kameras eher störend ist und eine Ungleichheit hervorruft, die ich persönlich nicht beheben kann - ganz abgesehen, ob das sinnvoll, effektiv oder rechtmäßig ist. Diese Rechte müssen garantiert und einforderbar sein - eine Öffentlichkeit, die das nicht bietet ist keine mehr.
Dem Gutdünken der Verwalter von allen zugänglichen Räumen ausgeliefert zu sein ist das Ende demokratischer Möglichkeiten. Fehlt dann die Rückzugsmöglichkeit ins Private, weil es nicht mehr vorhanden ist, eingeschränkt wird oder verpönt ist, dann kommt das einer Auslieferung gleich. Zurückgeworfen auf das nackte Leben, habe ich keine Möglichkeiten zu wehren, zu organisieren, meine Rechte wahrzunehmen.
 

Privatsphäre und Öffentlichkeit ist mehr als Datenschutz. Vor allem sind es wandelbare Begriffe, die nie feststehen und deren Inhalte keine Selbstverständlichkeit sind.
So dynamisch Gesellschaft ist, so dynamisch sind auch diese Spähren, die für eine demokratische Teilhabe wichtig sind. So lange sie existieren, kann auch die Auseinandersetzung um sie frei geführt werden. Jeder Tendenz diese Bereiche und Rechte einzuschränken oder abzubauen muss energisch begegnet werden.
Es wird immer wieder Auseinandersetzungen um Öffentlichkeit geben - z.B. die Nutzung von städtischem Raum bzw. dessen Einschränkung durch private Firmen. Damit wird etwas der Allgemeinheit entzogen, das nötig ist, um unerkannt und unbehelligt bestimmte Rechte auszuüben - öffentlich und eben nicht privat zu sein.
Und auch das Private ist nicht immer heilig. Auch wenn Menschen von sich selbst alles Mögliche preisgeben, ist es kein Argument dafür, verbürgte Rechte an privaten Daten zu unterlaufen.
Freiwilligkeit schließt mögliche Dummheit nicht aus - aber auch für diese gilt der Schutz der Privatsphäre, sonst ist bald nicht mehr zu erkennen wie freiwillig eine Preisgabe von Daten wirklich war.

Unser Recht auf Öffentlichkeit und das Recht privat allein und in Ruhe gelassen zu werden, sind nicht selbstverständlich und müssen immer wieder ausgehandelt, erkämpft und verteidigt werden - gegen Facebook, gegen den allzuneugiereigen Staat, gegen den Nachbarn und für eine freiheitliche, demokratische Gesellschaft.

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Dr. Nils Zurawski
http://www.surveillance-studies.org/blog

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  • 3 Kommentar(e)
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Gravatar: anonymousanonymous
13.10.2011
12:36

wir ein harter kampf werden, die beiden begriffe zu verteidigen und neu auszuhandeln.

Gravatar: Susanne FasbenderSusanne Fasbender
13.10.2011
12:39

Ja, der stille Raum des Rückzugs ist für die Freiheit unersetzlich. Das "Verbergen" ist ja auch ein Bergen, ein Schützen. Wo Dinge sich formulieren können und zu Neuem führen. Auch das Geistige ist ein Raum, in dem Bewegung stattfindet, der sich in der Ruhe weitet. Ein Ort der Wahrnehmung, des Hörens. Mr. Zuckerberg macht es sich leicht, sein Geschäft mit Theorie zur Überzeugungs-angelegenheit zu machen. "Posten" alles Privaten verliesse das Unmittelbare, das Augenblickliche. Das Gelebte wird auf Zeichenebene wieder und wieder reflektiert. Eine Frage der Dosierung.

Gravatar: fkfk
13.10.2011
13:01

"Das Gelebte wird auf Zeichenebene wieder und wieder reflektiert." das gefällt mir gut. auf dieser ebene verstehe ich auch dieses projekt. mr. zuckerbergs forderungen und die damit verbundene ideologie ist natürlich nicht diejenige welche ein anderes wohl als das eigene im blick hat. nichts desto trotz werden wir wohl auch nicht umhin kommen irgendwie die kultur des privaten neu zu formulieren, in einer zeit in der so viele sender sein und fremde am eignen leben teilen haben lassen möchte. hgfk

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