DER TransPrivacy Blog

mit Texte, Schriften und Kommentare von Bloggern und Autoren zum Projekt

28.11.2011
19:21

Privatsphäre als Machtfrage

Wikileaks und die Ereignisse um die Wikileaksaktivisten gehören zu den Großereignissen des Jahres 2011 und haben die Debatte um Transparenz und Geheimnis zumindest kurzfristig in das Bewusstsein der breiten Masse befördert. 

Die Autorin Christiane Schulzki-Haddouti beschäftigt sich schon sehr viel länger mit den Fragen rund um Whistleblowing, Datenschutz und Leaking. Sie geht in diesem Artikel der Frage nach, wie sich ein Plattform entwickeln könnte, die analog zu Facebook Nutzerdaten sammelt und auswertet, ihren Fokus aber nicht auf Privatpersonen, sondern auf Unternehmen legt.

Warum gibt es keine Netzwerkplattform für Unternehmen, die deren Aktivitäten verfolgen und systematisch enthüllen würde? 

Ein Gastbeitrag von Christiane Schulzki-Haddouti

Privatsphäre als Machtfrage

Der Schutz der Privatsphäre ist eine Frage der Kontrolle und des Vertrauens. Im digitalen Raum, heißt es, sei die Privatsphäre am Ende. Dies wird meist von den Unternehmenschefs behauptet, deren Geschäftsmodell darauf beruht, Kommunikation im Netz zu ermöglichen. Zu den ersten Provokateuren gehörte der ehemalige Sun-Chef Scott McNealy mit seinem Spruch „You have zero privacy anyway. Get over it!“, mit dem die Zeitschrift „Wired“ ihn 1999 zitierte. Facebook-Chef Mark Zuckerberg hört sich eine Dekade später nicht anders an als er sagte, dass sich die sozialen Normen geändert hätten und Privatsphäre nicht mehr so wichtig sei: "People have really gotten comfortable not only sharing more information and different kinds, but more openly and with more people," erklärte er Anfang 2010 die Entscheidung von Facebook, die Privatsphäre-Einstellungen der Nutzer über Nacht zu ändern. "That social norm is just something that has evolved over time." 

Aus Sicht von Facebook mag das wünschenswert sein, da die Kommunikation über die eigenen Rechner fließt. Facebook und andere Anbieter können mit einem kleinen Dreh an diversen Stellschrauben den Grad  der Öffentlichkeit dieser Kommunikation bestimmen. Aus Sicht der Betroffenen vermittelt genau dies jedoch ein Erlebnis des Kontrollverlustes: Man kann sich nicht darauf verlassen, dass die Regeln für die Verbreitung von Kommunikation, die heute gelten, nicht morgen schon geändert werden.
Noch nie konnte man sich darauf verlassen, dass vertraulich mitgeteilte Informationen auch vertraulich bleiben würden. Doch heute ist es nicht die Bekannte, die private Offenbarungen weitertratscht. Es ist ein Unternehmen, das seine Geschäftszwecke am ehesten dadurch verwirklicht sieht, wenn es die Kommunikation seiner Mitglieder noch einen Grad öffentlicher macht. Das ist auch der Unterschied zwischen Online- und Offline-Kommunikation. Im Bereich der digitalen Netzwerke bestimmen Unternehmen darüber, ob private Mitteilungen privat bleiben dürfen. Sie erweitern quasi über Nacht die Kommunikationskreise von Privatpersonen.

Diese Art von Kontrollverlust im Netz erleben jedoch nicht nur Privatpersonen, sondern zunehmend auch Unternehmen und Organisationen, Behörden und andere staatliche Einrichtungen. Sie müssen damit rechnen, dass Whistleblower Informationen im Netz veröffentlichen, sei es auf Wikileaks oder anderen digitalen Plattformen, vielleicht sogar auf Facebook. Meist waren die entsprechenden Informationen intern einem mehr oder weniger großen Personenkreis bekannt. Es herrschte also bereits so etwas wie eine geschlossene Teil-Öffentlichkeit, die aber offenbar nicht in der Lage war, Missständen adäquat zu begegnen und so das Whistleblowing geradezu provozierte. 

Anders als bei Datenschutzänderungen in sozialen Netzwerken, die ebenfalls geschlossene Teil-Öffentlichkeiten zwangsweise öffneten, war mit Veröffentlichung von Staats-, Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen jedoch keine abstrakte Überlegung von einem “sozialen Kulturwandel” verbunden, sondern aus Sicht des Whistleblowers ging die Veröffentlichung mit dem Wunsch nach einer Aufklärung von Missständen einher. Verbunden war damit die Hoffnung, dass die Öffentlichkeit eine Bereinigung der Verhältnisse erzwingen würde. Denn nur sie verfügt über korrektive Macht, wenn andere Kontrollmechanismen versagen. Damit verbunden ist ein aufklärerischer Gestus: Nur das Licht der Öffentlichkeit kann Korruption und andere Machenschaften verhindern.

Während Facebook und Co in der Praxis wenig Risiko eingehen, wenn sie von Privatpersonen Daten gegen deren Willen veröffentlichen, sieht das hier deshalb ganz anders aus: Wikileaks-Gründer Julian Assange erhielt von hochrangigen US-Politikern Morddrohungen, Whistleblower wie Bradley Manning und Rudolf Elmer wurden verhaftet und ins Gefängnis gesteckt.
Angesichts der zahlreichen Skandale, die durch Wikileaks und die mit der Plattform verbundenen Medien aufgedeckt wurden, müsste die Reaktion eigentlich ganz anders aussehen: Das Leaking müsste erleichtert werden, es müssten gesetzliche Schutzmechanismen etabliert werden. Die entsprechende isländische Gesetzesinitiative müsste weltweit Schule machen. Hingegen gibt es bis heute zwar viele Nachahmer-Plattformen wie Wikileaks, doch alle versuchen sie das damit verbundene Risiko zu begrenzen -  etwa indem sie sich vor dem Versprechen drücken, tatsächlich alle erhaltenen, authentischen Materialien zu veröffentlichen. Das ist durchaus nachzuvollziehen: Die Frage der Verantwortung für das Leaking ist in den meisten demokratischen Rechtssystemen von Einzelpersonen kaum zu tragen.

Man stelle sich vor, Mark Zuckerberg säße wegen einer Änderung der Datenschutz-Einstellungen jetzt im Gefängnis. Die Rede von Post-Privacy wäre eine andere. Deutlich wird im Vergleich: Die Kontrolle über Daten ist eine Frage der Macht, des Interesses und des Durchsetzungswillens. Zwar erlebten im Zuge der Wikileaks-Enthüllungen zahlreichen Unternehmen und Institutionen wie ihre Geheimnisse einer Netzöffentlichkeit preisgegeben wurden, doch da es in der Regel um punktuelle Enthüllungen ging, ist dieser nicht mit dem Kontrollverlust zu vergleichen, den Privatpersonen in sozialen Netzwerken systematisch erleiden müssen. 

Warum gibt es keine Netzwerkplattform für Unternehmen, das deren Aktivitäten verfolgen und systematisch enthüllen würde? Facebook plant die Aktivitäten seiner Mitglieder bei Internetdiensten wie Spotify abzubilden – als Mitglieder im Visier sind jedoch nur Privatpersonen, keine Unternehmen. Die sollen auf Facebook lediglich bessere PR betreiben können. Man stelle sich jedoch Ähnliches für Unternehmen vor: eine Plattform, die automatisiert nicht nur Börsendaten, sondern Aktivitätsdaten von Unternehmen veröffentlichen würde: Etwa die Einkäufe dokumentieren, die Warenströme auf Karten visualisieren, Verkaufsaktivitäten anzeigen und die Veknüpfungen zu weiteren Unternehmen in einer ständig aktualisierten Netzwerkanalyse analysieren. 

Für den Kongo will die US-Regierung künftig eine Karte erstellen, auf der Handels- und Warenströme angezeigt werden sollen. Damit soll die Finanzierung von Waffen aufgedeckt werden. Wie würde wohl eine solche Karte für die ganze Welt aussehen? Eine Netzwerkplattform für Unternehmen könnte auf einen Schlag Interessensverteilungen aufzeigen, aus denen Handlungsstrategien ableitbar wären. Die Realisierung einer solchen Plattform müsste mit dem erbitterten Widerstand der Unternehmen rechnen. Dabei gibt es längst Datenbanken, die eine rudimentäre Umsetzung ermöglichen würden: Die Aktienkurse sind verfügbar, die Unternehmensverknüpfungen lassen sich aus Handelsregistern ersehen. Warenströme werden über Zollinformationssysteme abgebildet, andere Daten lassen sich zumindest in den USA über die Informationsfreiheitsgesetze leicht erlangen. 

Tatsächlich wertet beispielsweise das US-amerikanische Marktforschungsunternehmen Port Import and Export Reporting Service (Piers) solche Daten schon lange aus - für Nutzer ist der Zugriff natürlich kostenpflichtig. Offene Systeme für solche Auswertungen, an denen viele mitarbeiten können, gibt es nur wenige. Die Wikipedia ist das zurzeit offenste System - wobei die Offenheit auch zum Nachteil gereichen kann. Denn gerade bei den umstrittenen, kritischen Themen sind regelmäßig Edit-Wars zu beobachten. Die Atomlobby etwa wurde schon dabei beobachtet, wie sie Atomkraft-kritische Äußerungen in der Wikipedia entschärfte. Der Diskurs findet damit direkt im Editiermodus statt - das Ergebnis fluktuiert entsprechend. 

Obwohl das Internet theoretisch jedem einen niedrigschwelligen Zugang und die Möglichkeit bietet, selbst Inhalte zu veröffentlichen, wird dies in einem gesellschaftlich-politischen Sinne viel zu wenig genutzt. Plattformen wie Facebook konzentrieren sich vornehmlich auf die private Welt der Nutzer. Zwar gibt es auch politische Facebook-Seiten, doch sie haben bislang kaum nennenswerte Diskurse hervorgebracht. Dies könnte sich rasch ändern, wenn Facebook für die Unternehmensseiten ähnliche Erweiterungen planen würde wie für Privatpersonen, wenn auf einmal relevante Informationsströme eingebunden und abgebildet werden würden. Doch dies wird nie geschehen, da die Unternehmen selbst kontrollieren, was über sie veröffentlicht wird. Die Privatsphäre von Privatpersonen ist zwar massiv gefährdet, ähnliches lässt sich aber nicht von Unternehmen und Organisationen sagen. Sie werden zwar künftig öfter mit Leaks konfrontiert werden, doch sie werden alles daran setzen weiterhin die Veröffentlichung von aussagekräftigen Daten zu  kontrollieren - um das Vertrauen von Kunden und Bürgern nicht ganz zu verlieren. Privatsphäre und Geheimnis - das sind letztlich Machtfragen.

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  • 3 Kommentar(e)
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Gravatar: Hans MonitorHans Monitor
29.11.2011
05:37

Es ist wohl eher Geld und weniger Macht, was eine entscheidende Rolle spielt. Unbedarfte Privatpersonen freuen sich über die kostenlose Vernetzung und schönen Spielmöglichkeiten, haben aber in der Regel keinen Etat, um gegen Rechtsverletzungen vorzugehen oder auch nur die Risiken professionell abzuklären. Nennenswerte Unternehmen nehmen Rechtsberatung und Rechtsschutz in Anspruch, sie gehen gegen relevante Verletzung Ihrer Rechte vor, und Schädiger tragen relativ hohes Risiko. Branchenverbände sind gut organisiert und unterstützen. Watchdogs, welche die Rechte der schwachen Konsumenten in öffentlichem oder selbstverliehenen Auftrag schützen sollen, sind oft schläfrige, zahnlose und ideologisch verträumte Exemplare ohne nennenswerten Biss und ohne nennenswerte Mittel..

Gravatar: Jan DarkJan Dark
29.11.2011
09:56

Das sind spannende Fragen. Wir haben auf der einen Seite Personen, bei denen zunächst alles privat sein sollte, wenn sie es nicht selbst frei geben, auf der anderen Seite den Staat, der sich selbst Public Service oder Öffentlichen Dienst nennt, bei dem nichts geheim sein sollte, weil er für seine eigene Existenz alle zur Finanzierung heranzieht, also alle seine Eigentümer sind, die über ihr Eigentum sich selbst frei verfügen dürfen. Unternehmen stehen irgendwo dazwischen. Auf der einen Seite sprechen wir ihnen als Staat das Recht auf Privateigentum zu (das mag von Staat zu Staat variieren), auf der anderen Seite regulieren wir sie staatlicherseits an vielen Stellen, wenn sie in den Markt wollen: angefangen von zwangsweisen Rechnungslegungsvorschriften mit Publizitätspflicht, Steuervorschriften (auch das variiert von Staat zu Staat (in Schweden kennt man so was wie "Steuergeheimnis" nicht (das ist wohl zu weit weg von den Mysterien Roms, Jerusalems und Mekkas) und anderen organisatorischen Vorschriften (Bauwerke, Fabriken, Arbeitsgesetze, SGB, usw.). Andererseits reden wie bei der Herstellung und der Verwendung von Produkten mit: Lebensmittel, Kraftfahrzeuge, Waffen, Energie, Finanzmärkte (bis hin zur kostenlosen Versicherung bei Marktversagen), ... Ich glaube eine erste gute Näherung für das weitere Vorgehen sollte sein: Das was der Bürger macht, ist zunächst privat, wenn er es nicht freigibt. Das was der Staat macht sollte zunächst immer öffentlich sein (Open Data) auch wenn es nicht den Staat sondern Wirtschaft oder Bürger betrifft. Ich glaube, wir haben erst den Anfang der Diskussion gemacht und werden noch staunen, um wie viel exzellenter wir werden können, wenn das Wissen, dass wir bezahlen und uns auch gehört dann auch zur Verfügung stehen.

Gravatar: fkfk
29.11.2011
09:58
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@Hans Monitor: sehe ich im prinzip ähnlich. aber bezüglich des ersten satz wirft sich die frage auf: ist im kapitalismus geld nicht mit macht gleich zu setzen? hgfk

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