DER TransPrivacy Blog

mit Texte, Schriften und Kommentare von Bloggern und Autoren zum Projekt

03.11.2011
15:15

POSTPRIVACY - TEIL III: Filtersouveraenitaet, Spackeria und die Datenschutzkritik

Wir kommen heute zum dritten und letzten Teil der kurzen Geschichte der Postprivacy. Der Autor und Blogger Michael Seemann hat darin die Entwicklung des Postprivacy-Begriffs über die vergangenen Jahre aus seiner Perspektive dargelegt, und die verschiedenen beteiligten Protagonisten eingeführt.

Im dritten und letzten Teil der kurzen Geschichte der Postprivacy, beschreibt Michael Seemann das Aufkommen der datenschutzkritischen Spackeria und die zeitgleich aufkommende Wandlung des Diskurses um den Datenschutz. 

EINE KURZE GESCHICHTE DER POSTPRIVACY - TEIL III: Filtersouveränität, Spackeria und die Datenschutzkritik

Ein Gastbeitrag von Michael Seemann


Postprivacy als notwendiger Gegenpol des Datenschutzes?

Nachdem die Ideen verpflanzt wurden (zu Teil 1) und die Ereignisse sich überschlugen (zu Teil 2), konnte man bereits feststellen, dass sich der Diskurs um den Datenschutz verändert hat. Der Datenschutz als grundsätzliches Ziel war lange Zeit tief in der DNA der deutschen Netzöffentlichkeit implementiert. Wer "Datenschutz" sagte, hatte recht, egal worum es ging. So lange die Datenschützer ihre Kritik gegen die Telekom, die CDU und das BKA richteten, waren natürlich die Sympathien einfach zu erringen. 

Ich will die Leistungen des Datenschutz in diesen Fällen auch überhaupt nicht in Abrede stellen. Deutschland wäre ein noch viel ungastlicherer Ort, wenn es den Datenschutz nicht gegeben hätte. Mit dem Aufkommen der Postprivacydiskussion und spätestens seit StreetView hatte der Datenschutz aber seinen Blankoscheck auf der Seite der Guten zu stehen, verloren. Es gab jetzt eine zunehmend kritische Öffentlichkeit, auch wenn sie nur als verschwommes Unwohlsein einer nicht näher abgrenzbaren Masse vorhanden war. Doch das sollte nicht so bleiben.

Im Oktober des Jahres 2010 waren Christian Heller und ich auf eine Konferenz eingeladen, die von der Piratenpartei organisiert wurde, sich aber nicht nur an Piraten richtete. Die Openmind sollte eine kleine Konferenz werden, auf der durchaus unausgegorene, aber umso freigeistige Ideen und Utopien vorgestellt werden sollten. Christian saß auf dem großen Abend-Podium zum Thema Post-Privacy und es war jener Moment, an dem mir klar wurde: Wir sind nicht allein. Im Zuge der Diskussion stellte sich heraus, dass es unter den Piraten nicht nur einige gab, die ein Mißtrauen gegenüber einem überboardenden Datenschutz sondern auch einige, die zumindest wohlwollend die Ideen zu der Postprivacy für sich aufnahmen.


Filtertools und Blick 2.0

Ich selbst hatte auch einen Vortrag vorbereitet. "Das radikale Recht des Anderen", in dem ich, ausgehend von den veränderten kulturellen Gegebenheiten im Netz, versuchte, eine kommende Informationsethik zu beschreiben.

Meine These dazu ist folgende: Wir haben im Netz ja eben nicht nur die Möglichkeit in die Hand bekommen, alle möglichen Daten einzustellen, sondern  - eben so wichtig - Tools, mit denen wir unsere Sicht auf diese Daten konfigurieren können. Ob Googlesuche, Twittertimeline, Facebookstream oder Statistiktool. All diese Dinge richten einen speziell auf unsere Informationsbedürfnisse zugeschnittenen, filternden Blick auf die Datenhaufen - und zwar in Echtzeit.

Wenn wir uns also erstens in zunehmenden Maße keine Gedanken mehr darum machen müssen, welche Daten wir speichern, weil Speicherplatz so billig geworden ist. Und wenn wir zweitens statt Verhinderung oder Unzugänglichkeitmachung von Daten die Möglichkeit eines jeden haben, Daten zu filtern, dann verändert sich unser gedankliches Verhältnis zu Daten. Wo es lange Zeit das Privileg, die Notwendigkeit und sogar die Verantwortung eines jeden war, Daten zurückzuhalten, für sich und für andere Gatekeeper zu spielen, verliert diese Haltung nach und nach ihre Legitimation. Dort, wo jeder alle Daten filtern und analysieren kann wie er will, ist die Filterung und Aussortieren an der Quelle nicht mehr nur obsolet, sondern nimmt dem filternden im Zweifel die Freiheit selbst zu entscheiden, was er sehen will.
Zugespitzt könnte man sagen, dass der Andere das radikale Recht an einer ungefilterten, unzensierten Rohdatenwelt hat, in der nur er und sein auf seine Bedürfnisse konfigurierter Filter entscheiden, was zu ihm durchdringt. Der Andere hat ein Recht auf "Filtersouveränität".


Legendary by Constanze Kurz: The Rise of the Postprivacyspacken

Im Dezember 2010, kurz nach Weihnachten und zwei Jahre nach Christian Hellers Vortrag zur Post-Privacy, war wieder einmal der Chaos Communication Congress in Berlin. Obwohl wir nicht vortrugen waren auch Christian und ich auf dem Kongress. Die CCC-Sprecher hielten im Hauptsaal den jährlichen Jahresrückblick ab. Einer der Punkte auf der 2010er-Liste war natürlich StreetView. Man erklärte, warum man sich seinerzeit zu der Diskussion nicht erklärte (uneinheitliches Meinungsbild im CCC), aber nicht ohne wenigstens einmal ordentlich über diese - wörtlich - "Postprivacyspacken" herzuziehen. Constanze Kurz, die diesen Begriff fallen ließ, hatte nicht damit gerechnet, wer sich alles damit angesprochen fühlte. Ich übrigens auch nicht.

Es sollte aber noch einige Tage dauern - bis in den Februar hinein - dass sich die volle Wirkung von Constanzes Worten entfalten sollte. Den endgültigen Anstoß dazu gab allerdings Joachim Wahlbrink, Datenschutzbeauftragter in Niedersachsen. Er kündigte ein hartes Vorgehen gegen Webites an, die Google Analytics - ein auch im privaten Bereich sehr beliebtes Reportingtool für Websitetraffic - einsetzen. Noch in der Nacht verabredeten sich ca. 10 Leute auf Twitter ein Blog aufzusetzen: @fasel, aka Sebastian Westermeyer richtete das Blog "Die datenschutzkritische Spackeria" ein.

Allein die Existenz des Blogs und damit das Signal, dass es eine Gruppe gegen den Datenschutz gibt, löste eine Lavine an Berichterstattung aus. Zunächst in der Netzszene, aber bald auch in anderen Medien wurde diese Entwicklung mit Skepsis, Verwunderung aber bald auch wohlwollend kommentiert. Ein datenschutzkritisches Blog - das war in Deutschland sicher nicht für möglich gehalten worden. Es muss allerdings auch unter Journalisten bereits ein zumindest unterschwelliges Gefühl gegeben haben, dass die Entwicklung des Datenschutz in Deutschland merkwürdige Züge angenommen hat, sonst wäre man nicht so bereitwillig auf den Zug aufgesprungen. Datenschutzkritik war jenseits der üblichen Verdächtigen aus Politik und Wirtschaft ein noch unbetretenes Terrain.


"Keine Macht den Datenschützern" und Privacy by Default

Der Durchbruch geschah durch das legendäre Interview mit Julia Schramm bei Spiegel Online (@laprintemps). Ihre zugespitzen Formulierungen wirkten wie ein Paukenschlag für die Öffentlichkeit. "Keine Macht den Datenschützern!" und "Privatsphäre ist sowas von Eighties. (lacht)" sind mittlerweile zu eigenständigen Memen in der Netzwelt geworden. Es hagelte Shitstorms in epischen Ausmaßen, aber auch eine ganze Menge Zustimmung. Vor allem beförderte es die kritische Diskussion um Privatsphöre und Datenschutz in den Mainstream. Einige Wochen lang folgen Fernsehauftritte, auf Diskussionsveranstaltungen, auf Interviews. Vor allem Julia hatte alle Hände voll zu tun.

Aber auch neben dem Medienrummel bewies die Spackeria immer wieder auch ihre Existenzberechtigung. Egal ob es um das ominöse "Recht auf Vergessen", "Gesichtserkennungsalgorithmen", "Facebook Like Button" oder den Forderungen nach "Privacy by Default" ging - überall mischte sich die Spackeria ein, klärte auf und entwickelte Argumente gegen den zunehmenden Netzregulierungswahn. Insgesamt kann man sagen, dass die Spackeria - indem sie dem Privacyfetischismus (Jarvis) eine Gegenseite bot - die Debatte um Datenschutz sehr versachlicht hat.

In der Zwischenzeit entwickelten sich immer mehr Initiativen, Kunstaktionen und Projekte um das Thema Privatsphäre und Öffentlichkeit im Internet. Die Öffentlichkeit ist sensibilisiert und die Diskussion offen. Die eigentliche Arbeit, eine Reformation des Datenschutzrechts, steht aber noch aus, obwohl auch hier bereits interessante Ansätze diskutiert werden


Ein richtiges Leben in der falschen Privatsphäre?

Der Postprivacy-Diskurs steht nun vor der nächsten Stufe. Christian Hellers Buch "Post-Privacy: Prima leben ohne Privatsphäre" ist nun in den Läden (meine Rezension) und wird vermutlich für einigen Wirbel sorgen. Der Diskurs, wie sich die Privatsphäre in Zeiten des Internets entwickeln wird, steht vor dem endgültigen Eintritt in die Mainstreamöffentlichkeit. Das ist gut, denn zu glauben, man könnte sich zu dem Thema indifferent verhalten, indem man nicht am Netz partizipiert, ist ein Fehlschluss. Alle sind betroffen, denn mit Smartgrid, Internet der Dinge und Bezahldiensten aller Art dringt das Internet nach und nach in alle Ritzen der alltäglichen Lebensführung - auch in Analogistan. Der Kontrollverlust ist überall. Es gibt kein analoges Leben im Digitalen.

Die Situation ist heute folgende: die Datenschützer stehen mit dem Rücken zur Wand. Wollen sie sich selbst und den Anspruch ihrer Organisationen zurücknehmen, oder versuchen sie - auch mit brutalen Mitteln - das geltende, aber veraltete Datenschutzrecht in das heutige Internet hineinzuprügeln?
Datenschützer wie Thilo Weichert scheinen sich für zweiteres entschieden zu haben und stürzen sich in den heiligen Krieg gegen Facebook. Das ist durchaus legitim, denn das ist sein Job. Die Spackeria hingegen kam genau zur richtigen Zeit, dem ein argumentatives Gegengewicht entgegen zu stellen. Denn neben dem geistigen Eigentum ist die Privatsphäre die zweite große Front eines überkommenen Wertemodells, gegen die es die Freiheit im Netz zu verteidigen gilt.

 

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  • 1 Kommentar(e)
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Gravatar: Peter GööckPeter Gööck
29.12.2011
08:35

Danke für den Überblick. Ich habe ein Abgrenzungsproblem: Meine Daten will ich geschützt wissen, ich möchte sie in dem Zustand wieder antreffen, in dem ich sie verlassen haben. Ansonsten kann ich meine Verarbeitungsergebnissen nicht trauen, wenn Dritte auf die Daten Zugriff haben und sie möglicherweise für mich nicht erkennbar manipulierten. Hier bin ich für einen radikalen Datenschutz. Ansonsten: Die Privatsphäre und der Datenschutz nach bisherigem Verständnis ist wohl Geschichte.

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