DER TransPrivacy Blog

mit Texte, Schriften und Kommentare von Bloggern und Autoren zum Projekt

28.10.2011
10:10

Eine kurze Geschichte der Postprivacy - Teil II

Eine kurze Geschichte der Postprivacy -  Teil II: StreetView, Wikileaks und die liquide Demokratie

Hier folgt nun der zweite Teil 'einer kurzen Geschichte der Postprivacy' von Michael Seemann, dieser bloggt seit einigen Jahren unter www.ctrl-verlust.net und mspr0.de zum Themenkomplex Privacy, Transparenz, Anonymität, Datenschutz und Postprivacy. Vor allem seine Thesen und Ideen zu letzterem haben ihm über die Jahre zu Weilen herbe Kritik - aber natürlich Anerkennung - eingebracht. Auf  zum zweiten Teil. 

Eine kurze Geschichte der Postprivacy -  
Teil II: StreetView, Wikileaks und die liquide Demokratie

ein Gastbeitrag von Michael Seemann

Im ersten Teil der Geschichte wurden die theoretischen Grundlagen in die Debatte eingeführt. "Post-Privacy", "Kontrollverlust" und das "German Paradox" waren als Stichworte in der Netzöffentlichkeit virulent geworden. Noch bestand die Debatte aber aus ein paar wenigen Spinnern, die ihre Ideen gegen eine immer aggressiver reagierende Netzöffentlichkeit verteigen mussten. 

Ich für meinen Teil wartete eigentlich immer noch, dass DAS Argument der Datenschützer auf den Tischen kommen würde, dass all unsere Argumente pulverisierte. Doch es kam - nichts. Jedenfalls kein neues Argument. Aber dafür passierte einiges anderes.


Googlestreetview und ein Streit um Rechte am Straßenbild

Es war noch im Frühjahr 2010 als in Form des Google-StreetView-Autos die Datensammelei ein Gesicht bekam. Auch auf deutschen Straßen fuhren sie nun und fotografierten die Hausfassaden und die Medien wurden nicht müde, diese "Bedrohung" zu dokumentieren und vor ihr zu warnen. 

Die Volksseele begann zu köcheln. Als Google merkte, dass sich Ärger ankündigte, richtete es eine Stelle ein, in der man gegen die Abbildung seines Hauses Widerspruch einlegen kann. Ein großer Fehler. Die Deutschen missverstanden diese Möglichkeit keineswegs als das Entgegenkommen, das es sein sollte, sondern als eine Art "Recht am Abbild des eigenen Hauses", das einklagbar war. 
Als die Widerspruchsfrist ausgerufen wurde trommelten BILD und co. zu den Urnen als ob es das 4. Reich zu verhindern gelte. Die Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner sprang auf den fahrenden Empörungszug auf. Auch einige Datenschützer sprangen mit Freude in die Fassadenangst, um sich zu profilieren. Im Bundesrat wurden Gesetzesinitiativen zur Einschränkung der Panoramafreiheit vorberreitet, Deutschland machte mobil gegen die Daten-Angreifer aus Übersee.

Es war jener Zeitpunkt an dem ich zu verstehen begann, dass wir nicht nur eine lustige und leicht trollige - aber durch und durch theoretischen Debatte am laufen hatten. 

Die Ereignisse hatten uns eingeholt und Post-Privacy - zumindest als datenschutzkritischer Diskurs - hatte plötzlich einen notwendigen Platz in einer aktuellen Debatte. Der Datenschutzdiskurs hatte sich in eine bedenkliche Richtung entwickelt und ich schrieb dagegen an. Oder aber das Internet hatte sich von der Debatte um Datenschutz und Privatsphäre gelöst. 
Jedenfalls wurde offensichtlich, dass wir es mit einer neuen Front zu tun haben, die einmal quer durch die netzpolitische Szene ging.


Vom Mainframe zur Cloud - Datenspeicher und Datenschutz im 
digitalen Wandel

Die Welt hatte sich gewandelt, seitdem der Datenschutz eingeführt wurde. Es sind nicht mehr die großen Rechenzentren der Behörden, denen wir Bürger schutzlos ausgeliefert sind. Wir selbst sind zu wandelnden Rechenzentren geworden. Wir nutzen Google, Facebook und Apple um unsere Daten synchron zu halten. Wir alle verarbeiten personenbezogene Daten. 
Wir alle partizipieren an Diensten wie StreetView, wir alle kommunizieren über Computer und unsere Interessen, Neigungen, Meinungen und Sehnsüchte werden von allen anderen genutzt, wie wir ihre nutzen. Das Datenschutzrecht aus den 60ern, 70ern und 80ern - es passt nicht mehr.

Die Diskussion um StreetView ging einige Monate und sie entzweite die Netzszene. Auf der einen Seite, diejenigen, die aus langer Tradition und reflexhaftem Widerstand den Kampf gegen die "Datenkrake" Google schon grundsätzlich gut fanden. Auf der anderen Seite, eine wachsende Zahl von Internetnutzern die merkte, dass hier Freiheitsrechte nicht mehr verteidigt, sondern eingeschränkt zu werden drohen. 

Unter ihnen: Jens Best. Best war es, der am lautesten und entschiedensten gegen den StreetView-Verpixelungswahn kämpfte. Er richtete eine Plattform ein, auf der sich eine Community versammelte, um die verpixelten Häuser nachträglich zu fotografieren, sie zu geotaggen und dann online zu stellen.
"Verschollene Häuser" war ein riesiger Erfolg, was die Medienberichterstattung anging. Etliche male führte Jens Best Journalisten durch die Stadt, mit einer Kamera bewaffnet und für das Recht auf das Fotografieren im öffentlichen Raum kämpfend. Best reklamierte eine positivere Sicht auf Öffentlichkeit im Internet.

Die sogenannte "digitale Öffentlichkeit" wie Sascha Lobo im Zuge der Debatte einwarf, sollte zum Schlagwort einer Gegenbewegung des Pixelwahns werden.

Die Diskussion um Google Streetview war mit der Diskussion um Postprivacy und Kontrollverlust verwandt, aber nicht wirklich anwendbar. Hausfassaden gehörten nie zur Privatsphäre, sondern waren immer schon ihre Außengrenze. 
Google StreetView schaffte es aber dennoch, zum Symbol einer sich immer rascher wandelnden Welt zu werden. Auf einmal war das Internet und die Datensammelei greifbar geworden. Es fuhr einfach so vor der Haustür herum und knipste Bilder. "Die Einschläge rücken näher" wird sich so mancher gedacht haben.


Präzedenzfall Wikileaks

Doch neben der StreetView-Debatte war es vor allem Wikileaks, das weite Teile der Öffentlichkeit in Atmen hielt. Im Frühjahr hatte die Gruppe um Julien Assange bereits das Video des Hubschraubereinsatzes im Irak - Collateral Murder - veröffentlicht und zeitgleich mit der StreetView-Diskussion wurden die Dokumente zum Irakkrieg und Afganistan veröffentlicht und führten zu immer neuen Schlagzeilen.

Während man diese Entwicklung in der Bevölkerung durchaus mit Skepsis beobachtete - 65% lehnten das Gebaren von Wikileaks ab - war man sich in der Netzszene einig: Der Kontrollverlust des Staates ist etwas gutes. Der CCC beeilte sich zu betonen, dass Staaten keine "Privatsphäre" hätten sondern nur Geheimnisse. Datenschützer goutierten Wikileaks als notwendige Treiber der staatlichen Transparenz. Einer der lustigeren Witze aus dieser Zeit war die unterstellte Angst der Deutschen, die verpixelten Hausfassaden könnten per Wikileaks wieder auftauchen.

Wikileaks war - ähnlich StreetView - als Sysmbol viel wichtiger, denn als tatsäche Privatsphärenbedrohung. Wenn das politische Hinterzimmer nicht mehr sicher ist, warum sollte es denn dann das Private sein? Der Kontrollverlust schritt unverzüglich voran und natürlich hört man es nur bei Staaten und großen Unternehmen laut krachen - alles eine Frage der Fallhöhe. Zwar gab es eine in Deutschland eine Debatte um iShareGossip - einer bei Schülern beliebten Webseite zum anonymen teilen von Gerüchten, also quasi das Wikileaks des kleinen Mannes - aber die Verbindung, dass das eine mit dem anderen zu tun hat, die zog kaum einer.


Transparenz vs Anonymität am Beispiel Liquid Democracy

In der Netzszene und auch unter Datenschützern ist die Idee populär, dass der Staat möglichst transparent zu sein habe. Der CCC fordert schon viele Jahre den "maschinenlesbaren Staat" und auch neuere Bewegungen wie "Open Data" und "Open Goverment" richten die Hackerethik als konkrete, politische Forderung an die Regierungen. Das undurchsichtige Gemauschel der Politiker wird nicht mehr akzeptiert, es wird nicht einfach mehr so vertraut.

Die Piratenpartei - durch die Netzsperrenproteste von 2009 zur ernstzunehmenden politischen Kraft herangewachsen - hatte ebenfalls früh die Transparenz als eines der wichtigsten Ziele für sich vereinnahmt. Niemand ahnte, dass dieser Wert mit den anderen Werten der Piraten: der politischen Partizipation und dem Datenschutz in Konflikt geraten könnte. Doch als der Landesverband Berlin mit einer neuen Idee zur parteiinternen, partizipativen Meinungsfindung um die Ecke kam - Liquid Democracy - sollte sich ein Streit entfachen, der in seinem Kern die gesamte Datenschutz vs. Freiheit des Internets Debatte in sich tragen sollte und bis heute andauert.

Liquid Democracy ist ein Konzept zur partizipativen Gestaltung von Demokratie, das es schafft, die Vorteile der repräsentativen und der direkten Demokratie durch die Techniken des Internets miteinander zu verbinden. Bei Liquid Democracy muss man sich auf einer Plattform anmelden und kann dort zunächst zu jedem Themenbereich und jeder Wahl persönlich abstimmen. Wenn man aber meint, jemanden zu kennen und zu vertauen, der sich in einem Themengebiet besser auskennt, dann kann man diesem seine Stimme delegieren. Ich kann zum Beispiel jemandem meine Stimme für das Politikfeld "Gesundheitspolitik" delegieren, aber sonst alles in eigener Hand behalten. Man kann dann zwar immer noch für alles selbser anstimmen wenn man will, tut man das im Bereich "Gesundheitspolitik" aber nicht, wird auf die Wahl für die mein Vertreter stimmte meine mit draufgerechnet. Auf diese Weise erwächst ein ziemlich komplexes Geflecht von Leuten, die Delegationen auf sich vereinen und/oder delegieren, in dem nicht mehr wirklich klar ist, wer hier noch Politiker ist und wer einfaches Parteimitglied.

Das System muss allerdings einige Anforderungen aufweisen. Es muss in seiner gesamten Struktur transparent sein. Es muss nachvollzogen werden können, wer wann, welche Stimme delegierte und wo diese Stimme in den Abstimmungen dann landete. Der Streit um die Wahlcomputer hatte gezeigt, dass eine Wahl am Computer nicht gleichzeitig geheim und nachvollziehbar sein kann, wenn man nicht Manipulation Tür und Tor öffnen will.

Die Berliner Piraten gewöhnten sich recht schnell an diese Anforderungen, doch als das System bundesweit eingeführt werden sollte, brach ein großer Streit vom Zaun. Die Datenschützer - von denen es in der Partei viele gibt - liefen Sturm gegen das System. Dass von jedem Piraten die Historie seiner politischen Entscheidungen bis in alle Ewigkeiten abrufbar bleiben sollte, war für sie ein Offenbarungseid. Nach vielem hin und her und vielen Änderungen und Sicherheitsvorkehrungen an der Software wurde sie schließlich dennoch angenommen. Doch der Streit schwelt weiter und ist noch lange nicht beendet.


Utopien der demokratischen Partizpation oder Dystopie des gläsernen politischen Menschen?

Das Internet, indem es die Menschen auf die engste Weise vernetzt, schafft unglaubliche, utopische Möglichkeiten zur Zusammenarbeit und zur wirklichen demokratischen Gestaltung. Doch die selbe enge Vernetzung nimmt uns die Möglichkeit, Dinge voreinander geheim zu halten, wie wir es gewohnt waren. Die Piraten stehen an dem Punkt, an dem sie sich entscheiden müssen: für die Utopie, für den Weg in eine neue, partizipative Politik, oder für die Rolle als Bewahrer der Privatsphäre, die sich zur Not auch gegen die technologischen Möglichkeiten stemmt und damit emanzipative Weiterentwicklungen versperrt.

Der Streit um Liquid Democracy ist deswegen der Kulminationspunkt der gesamten Debatte. Denn wir alle stehen vor der selben Weiche. Sollen wir Facebook verdammen, weil es unsere Privatsphäre nicht genug achtet, oder loben, weil es die Menschen enger vernetzt? Sollen wir Google bekämpfen, weil es eine Datenkrake ist, die mit unseren Daten Geld verdient, oder sollen wir es gut finden, dass unsere Daten dafür sorgen, die Suchergebnisse eines jeden zu verbessern? Durch das Internet fangen all unsere Daten an, Gutes zu tun, Services zu verbessern, Information zu transportieren, Menschen zu vernetzen und Mitbestimmung zu gewährleisten, wo vorher keine war. Mit Post-Privacy wurde diese andere Seite zumindest schon mal sichtbar gemacht.

Die Diskussion hat gerade erst angefangen. Die drei debattierten Ereignisse: StreetView, Wikileaks und Liquid Democracy haben dabei geholfen, diese Problemlagen zumindest in der Szene bewusst zu machen. Im nächten und letzten Teil werde ich davon erzählen, wie man die sich neu formierende Informationsethik beschreiben kann, wie wir als Spacken beschimpft wurden und Leute anfingen, sich ebenso zu bezeichnen, was noch alles so 80er ist und wie die Diskussion in die Mainstreamöffentlichkeit schwappte.

  •  
  • 0 Kommentar(e)
  •  

Mein Kommentar

Ich möchte über jeden weiteren Kommentar in diesem Post benachrichtigt werden.

Zurück