DER TransPrivacy Blog

mit Texte, Schriften und Kommentare von Bloggern und Autoren zum Projekt

18.09.2011
17:33

Vom intimen Flamewar zum Flamestormwar

Flamewars, Shitstorms und die Zukunft der asynchronen Flammenkriegsführung

Genauso wie sich das WWW im Laufe des vergangenen Jahrzehnts gewandelt hat, hat sich auch die damit verbundene Kultur des Netzes verändert.
Das Phänomen des Flamewars ist ein Beispiel für diese Wandlung. Aus dem erbitterten und teils abstrusen Streitgespräch einzelner Protagonisten einer Mailingliste oder eines Forums mit relativ kleinem Publikum sind Massenphänome mit einer unüberschaubaren Anzahl an Teilnehmern geworden. Sind diese Veränderungen auch Zeichen für einen Wandel auf der medialen Bühne der Politik?

Exemplarisch für die angedeutete Entwicklung muss an dieser Stelle eine online geführte Streitdebatte zwischen verschiedenen, einflussreichen – und auch weniger einflussreichen – Protagonisten der netzpolitischen Szene im August diesen Jahres dienen.
Ein Bloggerstreit entwickelte sich über den Zeitraum einiger Tage hinweg zu einem Flamewar bzw Flamestormwar.
Die beiden Hauptprotagonisten waren der Autor und Betreiber des fefe.blogs, sowie der Netzaktivist und Blogger Alvar Freude. Beide Seiten wurde durch weitere Blogger, Twitter-Nutzer, dem Heise-Verlag, Golem.de und nicht zuletzt durch die Subscriber der Mailinglisten von AK-Vorrat und AK-Zensur unter Verwendung diverser Kanäle unterstützt.

Kernpunkte des Streites formulierte Twister in einem Artikel auf Telepolis später dann etwas lakonisch wie folgt: "Die SPD und Alvar Freude wollen eine Vorratsdatenspeicherung, der AK Vorrat nicht".
Für jene, die sich für die genaueren Umstände und Hintergünde dieses Streits, der dann zum modernen Flamestormwar wurde, interessieren, sei der entsprechende Artikel als Einstieg empfohlen. Zum Verständnis des folgenden Textes ist die vertiefende Lektüre aber nicht zwingend notwendig.

Neue Kanäle für den gemeinsamen Krieg der Worte

Hier geht es in erster Linie einmal darum, dass sich mit der Entwicklung des Mitmach-Web-2.0 auch die Art und Weise der modernen Flamewarführung gewandelt hat. Waren Flamewars früher eher lokale Konflikte und auf themenspezifischen Mailinglisten wie Beispielsweise die legendäre, aber mittlerweile fast tote Rohrpost oder spezille Foren begrenzt, wird der moderne Flamewar mit allen zur verfügungstehenden Möglichkeiten des Web2.0 an möglichst vielen Orten gleichzeitig geführt. Die widerstreitenden Lager erschließen sich so ein breiteres Publikum, während dieses wiederum nun auch selber eingreifen kann.

Je nach Möglichkeiten und Größe der jeweiligen Anhängerschaft kommen im modernen Flamewar neben der klassichen E-Mail nun auch Twitter, Blogs, Bloggkommentare, Onlineportale und Social Networks zum Einsatz. Diese neuen Kombinations- und Mitmachmöglichkeiten erhöhen natürlich den Reiz für die Flamewargegner siginfikant.
Für das ehemals eher passive Publikum besteht im modernen Flamewar die Möglichkeit Positionen im eigenen Blog aufzugreifen, um diese dann zu unterstützen oder zu bekämpfen. So können ganz neue Fronten aufgemacht und Nebenkriegsschauplätze eröffnet werden, ein Phänomen welches der Kenner aus dem Bereich der Shitstorms kennt – dazu aber gleich mehr.
Wer weniger Zeit hat bringt sich, in der Tradition der Nachrichtendienste und Feindaufklärung ins Spiel, in dem Berichte von neuen Gefechten und Attacken per Twitter, Facebook, Google+ oder E-Mail weiter geleitet werden.
Belohnt wird solcher Einsatz gelegentlich durch neue Follower, die Aufnahme in Circles, Freundschaftsanfragen, Gefälltmir-Klicks oder neue Abonnenten des eigenen RSS-Feeds. Im Kontext der Aufmerksamkeitökonomie lohnt es also durchaus, sich den Flamewarparteien anzudienen bzw auf eigene Faust in die Gefechte einzugreifen.

Der Shitstorm: ein strategisches Element des Flamestormwars

Eine wichtige Strategie im modernen Flamewar ist der Shitstorm geworden. Der Shitstorm, im Prinzip eine Meinungs-DOS-Attacke der digital Empöhrten, ist der vernetzte Alptraum jeden PR-Managers und war lange Zeit Ölkonzernen, der Atomindustrie oder tierquälenden Megakonzernen vorbehalten. Mitunter traf es aber auch mal ungeschickt agierende Stars und natürlich immer wieder Politiker.
Mehr dazu im modernen Brockhaus aller Nerds, Geeks und digitalen Lifestyler, dem Urban Dicitionary oder in Sascha Lobos kurzweiligem Vortrag auf der Re:publica 2010 "How to survive a shitstorm".
War der Shitstorm bisher immer als singuläres Phänomen zu sehen, ist er mittlerweile wichtiges Element einer guten Flamewarstrategie geworden. Gelingt es einen solchen zu Entfachen und den Gegner damit im besten Fall auch noch zu überraschen, stehen die Chancen nicht schlecht den gesamten Flamestormwar für sich zu entscheiden.

Im Eingangs beschriebenen Beispiel ging die erste Attacke vom Blog des Angreifers fefe aus und erwischte Alvar Freude eiskalt. Während Fefe dann seine verbalen Attacken im gewohnt leicht prollig, pöbelnden Stil fortführte, ging Alvar Freude in seinem Blog zur aktiven Verteidigung über, musste sich dann aber in seine Burg, die von ihm initiierte Mailingliste des AK-Zensur zurückzuziehen.
Allerdings kam er auch dort nicht recht zu Ruhe und wurde auch noch parallel im Blog von Thomas Stadler angegangen. Später setzte sich der Disput dann auf Heise.de fort und eröffnete allen Teilnehmern damit ein neues, breiteres Publikum und holte zusätzlich die berüchtigten Trolle der Heise Foren mit ins Boot.

An dieser Stelle soll aber Schluß sein, mit der Rekonstruktion der Ereignisse. Wer genaueres Wissen will nutzt bitte die Links oder die Suchmaschine seiner Wahl.

Der Flamestormwar wird Teil einer netzbasierten, politischen Streitkultur

Die Wandlung des Flamewars vom kleinen, privaten Streit hin zu einer breiteren Debatte ist nun nicht völlig neu. Bemerkenswert ist aber die Koppelung dieser digitalen Gefechte mit dem realopolitischen Geschehen. Denn Kernpunkt des hier zitierten virtuellen Schlagabtauschs war der Streit um die Gesetzgebung der Vorratsdatenspeicherung.
Und so deutet sich an, je mehr das Netz Medium der Politik und vor allem auch seiner eigenen Politik wird, desto mehr gewinnen die dort geführten Debatten auch über das Medium hinaus an Bedeutung.

Mehrheiten werden in Zukunft eventuell wirklich auch über die persönlichen Follower geschaffen. Womit die politische Meinungsbildung in den Debatten des Web2.0 wieder stärker an einzelne Subjekte gebunden wird, und die vermittelnden Institutionen - in diesem Fall als Beispiel der Heise-Verlag - eher begleitend und moderierend Einwirken. Hier deutet sich nicht nur ein Wandel in der Kultur des Flamewars an, sondern es weist auf eine generelle Verschiebung politischer Handlungen und der Akteure auf der medialen Bühne hin.

Bemerkenswert hierbei ist aber, dass nun - zumindest so lange das WWW wie derzeit durch Textein- und ausgabe dominiert wird - sprachliche und vor allem literarische Qualitäten gegenüber den schauspielerischen in den Vordergrund treten.

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